Es gierscht

Auf gutem Fuß mit dem Ziegenfuß Den meisten Gärtnern ist Aegopodium podagraria, besser bekannt als Giersch, ein Dorn im Auge! Denn der wuchswütige Doldenblütler kann sich mit seinen unterirdischen Ausläufern im Garten rasant ausbreiten. Sein botanischer Name Aegopodium leitet sich aus dem Griechischen ab und lässt sich mit „Ziegenfuß“ übersetzen. Darauf, dass der Giersch in der Volksheilkunde als geschätztes Heilmittel zur Behandlung von Gicht und Rheuma diente, deutet der Begriff „Podagrarius“ (= gichtig) hin. Doch gerade Gewächse, für die es eine Vielzahl an unterschiedlichen volkstümlichen Namen gibt, standen bei unseren Vorfahren in großen Ehren. Zieht man dies in Betracht, ist der Giersch wahrscheinlich unter die „Top Ten“ der wichtigsten Pflanzen unserer Vorfahren einzuordnen! Als Zipperleinskraut, Podagraniskraut, Hinfuss, Hinlauf, Erdholler, Dreifuß und Gichtkraut ist und war er bekannt. Des Weiteren firmierte er als Podagrakraut, Zaungiersch, Geißfuß und Ziegenfuß oder -kraut, Dreiblatt, Geselkohl oder Gichtkraut, Ackerholder, wilde Angelika und Gerhardskraut, Gese, Maienkraut, Hasenscharteln und sogar als Schneckenkraut.
Schon bei den alten Römern war der Giersch als Heilpflanze beliebt und wurde von ihnen auch als Gemüse – ähnlich dem Spinat – genossen. Noch weit bis ins 16. Jahrhundert stand der Giersch bei der ärmeren Landbevölkerung als Wildgemüse oder in Suppenform auf dem kargen Speiseplan. Als Suppenbestandteil kennt man den Giersch schon lange: Bevor sich in unseren Breiten das Christentum etablierte, verehrten die Germanen den Gott Donar. Er ließ seinen Hammer als Blitz in die Erde einschlagen, um sie fruchtbar zu machen. Zu seiner Ehre verspeisten unsere germanischen Ahnen an Donnerstagen nur Grünes, nämlich eine Suppe aus neunerlei Kräutern, darunter der Giersch. Die heilige Zahl Neun (drei mal drei) stand dabei zeichenhaft für das Göttliche. Und durch den Verzehr der Suppe erhielt der Esser ganz nebenbei noch eine tüchtige Ladung an wichtigen Vitaminen und Mineralstoffen! Als wichtiger Bestandteil der Gründonnerstagssuppe mit ihren neunerlei Kräutern hat sich der Giersch bis in die heutige Zeit einen Namen gemacht.
In mittelalterlichen Kloster- und Bauerngärten wurde er als eine natürliche Nutz- und Heilpflanze angebaut. Als „Handwerkszeug“ der Ärzte und Apotheker war der Giersch sogar unverzichtbar. Der berühmte Arzt und Botaniker Tabernaemontanus wusste in seinem Kräuterbuch 1588 über den Giersch zu berichten: „Jewohl der Geißfuß ein veracht und unachtsam Kraut ist, so hat es doch auch seinen Gebrauch in der Arzney überkommen und wird insonderheit hochlich gelobt…“. Nach seinem Kenntnisstand war der „Geißfüssel den Wundärzten bekannt …, dann sie es zur Heilung der Wunden und allen Schäden gebrauchen wie es dann in der Warheit ein fürtrefflich Wundkraut ist.“ Und gegen „die faulen Fieber soll man die Wurzel zu Pulver stossen und darvon 1 Quintlein mit Wein darinn Geißfüsselkraut gesotten worden, etlich Tag nacheinander warm trincken und darauf schwitzen“. Doch auch von der für uns Gärtner so lästigen Seite des Gierschs wusste der heilkundige Mann zu berichten: „Es hat eine kleine weiße Wurzel…. Die kreucht in den Erdreich hin und her und nimmt in kurzer Zeit ein ganzen Garten ein, dann wo sie einmal inwurzelt, ist sie nicht leichtlich mehr auszurotten.“ Doch wer in seinem Garten nicht länger den Kampf gegen den Giersch aufnehmen mag, sollte ihn sich besser zum Verbündeten machen. Denn die oben erwähnte vitaminreiche Suppe aus neunerlei Kräutern schmeckt auch über den Gründonnerstag hinaus: In der schmackhaften Gesellschaft von Wiesensauerampfer, Löwenzahn, Taub- oder Brennnessel, kleiner Bibernelle, Gänseblümchen, Felsen-Fetthenne, gemeiner Schafgarbe und dem Waldsauerklee kann man dem Giersch wahrlich etwas abgewinnen!

Bild: Giersch, aus: Deutschlands Flora in Abbildungen (1796) von Jakob Sturm

Text: Antje Peters-Reimann www.gruenwort.de


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